Im Laufe von knapp zwei Jahrhunderten bauten die deutschen Siedler im Russischen Reich und der späteren Sowjetunion eine großartige Lebenswelt auf und trugen maßgeblich zur Entwicklung der Gesellschaft bei. Nach ersten Einschränkungen Ende des 19. Jahrhunderts zerstörten jedoch die Verfolgungen unter der stalinistischen Gewaltherrschaft im 20. Jahrhundert ihre Kultur und ihre Existenz als Volksgruppe und brachten ihnen unendliches Leid.
Das kollektive Gedächtnis der Deutschen aus Russland wird nicht zuletzt durch zwei historische Ereignisse geprägt:
- Am 22. Juli 1763 wurde das Einladungsmanifest der Zarin Katharina der Großen veröffentlicht, das den Beginn der Auswanderung von Deutschen in das Russische Reich markiert.
- Beinahe zwei Jahrhunderte später, am 28. August 1941, und gut zwei Monate nach dem Überfall von Hitler-Deutschland auf die Sowjetunion beschuldigte der Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der Sowjetunion „Über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen“ die Wolgadeutschen in pauschaler und völlig haltloser Weise der Sabotage und Kooperation mit Deutschland. Was unmittelbar folgte, waren die Auflösung der Wolgadeutschen Republik und die Deportation der Wolgadeutschen.
So haltlos diese Anschuldigungen auch waren, bedeuteten sie doch für Hunderttausende Russlanddeutsche das Todesurteil. Nicht nur diejenigen, die an der Wolga lebten, wurden aus ihren Heimatorten in die lebensfeindlichsten Gebiete im hohen Norden und Osten des sowjetischen Reiches verschleppt, wo ungefähr jeder Dritte von ihnen in den Zwangsarbeitslagern der so genannten Trudarmee zugrunde ging.
Gleiches mussten vielmehr auch die anderen Deutschen in der Sowjetunion erleiden, ganz gleich ob sie am Dnjepr, am Schwarzen Meer, in Wolhynien, auf der Krim, im Kaukasus oder in den Städten gelebt hatten. Das Leid, das die Vernichtungsmaschinerie des stalinistischen Unrechtsregimes für sie bereithielt, ist kaum zu beschreiben.
Hatten bereits die Wirren nach dem Ersten Weltkrieg und Hungersnöte, die Zwangskollektivierung und die stalinistischen Säuberungen der Jahre 1937 und 1938 die russlanddeutsche Volksgruppe in ihrem Bestand erschüttert, so konnte sie sich von dem Vernichtungsfeldzug nach dem 28. August 1941 bis zum heutigen Tage nicht erholen.
All die Toten und Entrechteten lasten schwer auf den Seelen der Deutschen aus Russland, und es gibt kaum einen unter ihnen, der in seiner Familie keine Opfer zu beklagen hatte.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Diskriminierung der Deutschen in der Sowjetunion mit dem Zweiten Weltkrieg nicht zu Ende war. Die deutschen Schulen blieben geschlossen, es war kaum möglich, in der Öffentlichkeit deutsch zu sprechen, und die Deutschen waren noch auf Jahre hinaus gezwungen, in ihren Verbannungsgebieten zu verblieben und sich regelmäßig auf der Kommandantur zu melden.