Heinrich Keller (1896-1972)
Mein Vater Heinrich Keller wurde am 28. Mai 1896 in Eichental im Gebiet Saporoschje als Sohn von Friedrich Keller und Dorothea Seel geboren. Bald nach seiner Geburt begann die Mutter ein unzüchtiges Leben. Mein Vater wurde in die Obhut einer verwandten Pflegefamilie gegeben. Bis 1916 lebte die Familie in Eichental und anderen Orten im Dongebiet.
Heinrich Keller (1896-1972)
Deportiert, repatriiert oder repressiert von:
Auerbach (Vogtland), DDR
Deportiert, repatriiert oder repressiert nach:
Dorf Mischino, Kreis Korgosowsk, Gebiet Tomsk, UdSSR
Mein Vater wurde im Ersten Weltkrieg in einem Bautrupp im Kaukasus zur Errichtung von Schützengräben eingesetzt. 1916 wurde er in ein Lazarett in Baku mit Herzproblemen (palpitatio cordis) eingeliefert. Nach dem Ersten Weltkrieg zog mein Vater nach Schönfeld (Kankrinowka). Hier heiratete er meine Mutter Ida Krebs und bekam mit ihr insgesamt fünf Kinder: Tugendreich (1924), Heinrich (1926) und Walda (1928). Zwei weitere Kinder Waldemar und Karl starben im Kindesalter. 1930 wurde unsere Familie vom Sowjetregime enteignet und mein Vater zum Dienst in der Roten Armee eingezogen. Nach diesem trat er 1934 der Kollektivwirtschaft bei und arbeitete als Landwirt und Tischler. Mit dem Zweiten Weltkrieg begann eine lange Zeit der Trennung für unsere Familie. Während meine Mutter, mein Bruder Heinrich und ich nach Kasachstan deportiert wurden, wurden mein Vater und der ältere Bruder Tugendreich mit anderen Männern aus dem Dorf von der Roten Armee angewiesen, das Vieh nach Osten zu treiben. Jedoch wurde die Ukraine schnell von der Wehrmacht okkupiert und die Männer zurück ins Dorf gebracht, wo sie bis 1943 lebten.
Mein Bruder Tugendreich wurde in die Wehrmacht einberufen, verwundet und verbrachte die Kriegszeit in einem Lazarett in Warschau. Mit dem Abzug der Wehrmacht begann auch für die Volksdeutschen die Flucht vor dem Sowjetregime. Der Flüchtlingstrack aus Schönfeld kam zunächst nach St. Annaberg in Schlesien, wo mein Vater und mein Bruder am 14. Mai 1944 eingebürgert wurden. Danach kamen sie nach Auerbach im Erzgebirge und wurden von einer Familie aufgenommen. Nach dem Krieg heiratete Tugendreich die Tochter der Familie Elisabeth und bekam mit ihr zwei Kinder. 1949 wurden die Volksdeutschen auf dem Gebiet der Ostzone zurück in die Sowjetunion deportiert. Während Tugendreich aufgrund seiner Familie die Option hatte zu bleiben, musste mein Vater gehen. Zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin kam er in das Gebiet Tomsk.
Nach langer Suche konnte ich meinen Vater 1957 in Sibirien ausfindig machen. Durch ihn erfuhren wir auch, dass mein Bruder Tugendreich in Deutschland lebte und konnten den Kontakt wiederherstellen. Mit meinem Mann und meinem Sohn besuchte ich meinen Vater in Sibirien. Die Freude über das Wiedersehen war groß, jedoch konnten wir ihn nicht davon überzeugen, zu uns zurückzukehren. Dafür hatte er aber eine menschliche Begründung: Die Lebensgefährtin, mit der er die Kriegswirren durchgestanden hatte, war schwer krank und er wollte sie bis zu ihrem Tod nicht im Stich lassen. Nach ihrem Tod 1962 zog mein Vater zu uns nach Kasachstan. Hier konnten wir nun aufgrund seiner Kenntnisse ein schönes und großes Haus bauen. Aber auch andere Bewohner des Dorfes profitierten von seinem Können. 1964 kam es auch zu einem Wiedersehen mit Tugendreich und seiner Frau, die uns in Kasachstan besuchen durften. Meinen Eltern wurde 1970 von den Sowjets die Besuchsreise nach Ostdeutschland gestattet, wo sie einen Monat mit Tugendreich und den Enkelkindern verbringen konnten.
Am Heiligabend 1972 verstarb mein Vater nach einem turbulenten Leben an einer Gehirnblutung.
Walda Pahl (geb. Keller)
Mit dem Foto ihres Vaters gemeinsam mit ihrer Tochter Lidia Belov (geb. Pahl), den Enkeln Anton Pahl und Vladislav Belov sowie der Urenkelin Linda Pahl.
Tauschen Sie sich über den Beitrag aus.