Alwina Michaelis (1902-1965)
Die Mutter von meiner Oma Alwina, Kristina geb. Petsch war sehr früh verstorben, im Jahre 1908, da war Oma Alwina erst 6 Jahre alt. Der Vater, Johann Resch, war sehr lange allein und hatte die Familie samt Kindern selbst ernährt. Sie hatten 2 Söhne und 4 Töchter. Die Mädchen haben sehr früh angefangen zu arbeiten, in reichen Familien als Kindermädchen oder Putzfrauen.
Alwina Michaelis (1902-1965)
Deportiert, repatriiert oder repressiert von:
Dorf Blumenfeld, Kreis Burla
Deportiert, repatriiert oder repressiert nach:
Dorf Blumenfeld, Kreis Burla, Altaj Region
Während des Bürgerkrieges in Russland heiratete die 20-jährige Alwina den neun Jahre älteren Jacob Michaelis, der gerade aus der österreichischen Gefangenschaft heimkam. Doch das Familienglück war nicht von Dauer: Jacob starb bereits 1936. Da die Familie Michaelis, die Familie ihres Mannes, in den Jahren 1937-38 von dem Kommunistischen Regime fast ausgelöscht wurde und ihre eigenen Geschwister weit weg wohnten, hatte meine Oma es nach dem Tod ihres Mannes sehr schwer die neun Kindern großzuziehen.
Sie arbeitete schwer in der Kolchose, aber auch zuhause, im eigenen Garten, musste sie schwer anpacken, um die große Familie zu ernähren. Nachts hatte Oma unter Petroleumlampe Schafwolle gesponnen und Socken und Handschuhe für die Kinder gestrickt. Im Sommer wurden Schwarzbeeren (Paslen) gepflückt und Marmelade eingekocht. Es wurden Maultaschen aus Teig und Beeren gemacht und Pirogen gebacken. Man sammelte Brennnessel und hatte sehr leckere Suppe aus Ei und Grünzwiebel und Sauerrahm gekocht. Auch verschiedene Kräuter wurden gepflückt, getrocknet und zu Tee oder Tinkturen verarbeitet.
Besonders bitter wurde die Lage der alleinstehenden Frau nach dem Ausbruch des Vaterländischen Krieges. Da gab es kein Brot, geschweige von Pirogen. Ihre älteren Söhne, Jacob und Heinrich, sowie die Tochter Elena kamen 1942-43 ins Arbeitslager als Deutsche. Der 14-jährige Alexander und der 12-jährige Johann verließen die Schule und gingen in die Kolchose. Die Minderjährigen bekamen für ihre Arbeit in der Kolchose nur die Hälfte der Erwachsenenration, jedoch war das eine große Hilfe für die Familie. Doch schon kurz darauf wurde Alexander verhaftet, bei dem Versuch etwas Getreide aus dem Kolchosspeicher für die hungernde Geschwister mitzunehmen und für drei Jahre Lagerarbeit verurteilt. Alwina blieb die Alleinversorgerin, bekam nur für eine Person die Lebensmittel zugewiesen, während Zuhause fünf weitere minderjährige Kinder auf sie warteten.
Aus alten Sachen, die sie von Nachbarn aus Mitleid bekommen hatte, wurde Kleidung gemacht, es wurde ständig von größeren Kindern etwas geändert und umgenäht für die Kleinen, damit sie etwas zum Anziehen hatten. Die einzige Rettung für die Familie waren die Ziesel/Erdhörnchen, die der zwölfjährige Johann gefangen hatte: Sie wurden auf unterschiedlichste Weise in der Küche verwendet und selbst aus dem Fell hatte Oma Mützen für die Kinder genäht. Das war die schlimmste Zeit ihres Lebens.
Alwina schöpfte ihre Kraft von Gott, ihren Glauben bewahrte sie auch in der Nachkriegszeit. Nach Stalins Tod fingen die Gläubigen des Dorfes an sich heimlich in privaten Räumen zu treffen, lasen aus der Bibel, sangen aus dem Gesangbuch. Die Bücher waren noch aus der Vorrevolutionszeit. Es gab auch keine evangelischen Pfarrer, die Lutheraner wählten sich einen Küster, der die Nottaufen übernahm. Es war immer noch nicht offiziell erlaubt, aber geduldet. In den 50er Jahren bekam Alwina die Medaille der „Mutter-Heldin“, mit der die Sowjetregierung kinderreiche Mütter auszeichnete. Sie starb 1965 im Haus ihrer Tochter Maria.
Paulina Micheilis
mit Fotos von ihren Großeltern Alwina und Jacob
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