Peter und Nikolai Mirau
Mein Urgroßvater Peter Mirau wurde 1906 in dem Dorf Karassan auf der Krim geboren. Er war das erste von sieben Kindern in der Familie. Seine Eltern Peter (1878) und Katharina (1875) Mirau, geb. Friesen, gehörten der "Mennonitischen Brüdergemeinde " an.
Peter Mirau
Deportiert, repatriiert oder repressiert von:
Telmann Bezirk, Krim
Deportiert, repatriiert oder repressiert nach:
Trudarmee Usollag, Perm Gebiet
Nikolai Mirau
Deportiert, repatriiert oder repressiert von:
Telmann Bezirk, Krim
Deportiert, repatriiert oder repressiert nach:
Nord Kasachstan, Dorf Tschirikovka
Die Eltern meines Uropas legten auf die Ausbildung ihrer Kinder großen Wert. Die ältesten Kinder schlossen nicht nur die Dorfschule in Kurman ab (damals war es die 5. Klasse), sondern besuchten auch weiterführende Schulen. Sie hatten zu Hause eine Bibliothek, was für die damalige Zeit und für das Land nicht schlecht war. Ururgroßmutter Katharina konnte auch Noten lesen und spielte Querflöte. Die Familie verbrachte oft gemeinsame Abende, an denen viel gesungen wurde. Die Lieder waren meist christliche Lieder oder alte deutsche Volkslieder.
Das Dorf, in dem sie lebten, war deutsch, sodass Russisch in der Schule als Fremdsprache gelernt wurde.
Während des Ersten Weltkrieges wurde Ururgroßvater Peter mobilisiert. Er hatte aber das Recht, aus religiösen Gründen keine Waffen zu tragen. Er arbeitete in einer Bäckerei und belieferte die Armee mit Brot.
Alle sieben Kinder von Katherina und Peter wurden im Geist der „Mennonitische Bruderschaft“ erzogen, aber die harten 1920er Jahre und die Abwesenheit des Vaters (Ururgroßvater starb 1920 an Typhus) taten ihr Übriges. In den späten 1920er Jahren wurden alle Kirchen geschlossen und die Geistlichen entweder verbannt oder erschossen.
Mein Urgroßvater Peter wandte sich langsam von den Mennoniten und von der Religion ab.
1930 wurde mein Großvater Nikolai geboren, 1933 sein Bruder Wladimir und 1937 seine Schwester Helena.
Am 9. September 1938 wurde mein Urgroßvater vom NKWD der Krim als Mitglied einer konterrevolutionären Spionage- und Sabotageorganisation verhaftet. Angeblich habe er einen Zug, mit dem Molotow fuhr, zum Entgleisen bringen wollen. Doch wegen unbewiesener Anschuldigungen wurde er vom NKWD am 16. Januar 1940 aus der Haft entlassen.
Anfang September 1941 wurde die Familie von der Krim nach Nordkasachstan zwangsdeportiert und Urgroßvater zur Trudarmee eingezogen, wo er 1943 im Alter von 37 Jahren unter unmenschlichen Bedingungen starb.
Als die Familie von der Krim vertrieben wurde, durfte meine Urgroßmutter nur das mitnehmen, was sie mit den Händen tragen konnte. Wieviel kann man mit drei kleinen Kindern und einer alten, kranken Mutter mitnehmen?
Nach den Erzählungen meiner Urgroßmutter waren sie sehr lange unterwegs. Es war kalt und sie waren sehr hungrig. Viele Menschen starben unterwegs.
Glücklicherweise konnte Urgroßmutter die Kinder retten. Sie erreichten Nordkasachstan und dort begann der lange Weg der Sondersiedler: Kommandantur, Einschränkungen und Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit.
Meine Urgroßmutter erzählte, dass die einfachen Leute vorsichtig, aber verständnisvoll gewesen seien, während die Behördenleute jedes Wort und jeden Schritt streng überwacht haben.
Im Jahr 1949 wurde für meinen Großvater Nikoali eine eigene Sondersiedler-Akte angelegt.
Trotz seiner hohen Intelligenz, war es ihm nicht vergönnt, seinen Traum von einer Ausbildung zu erfüllen. Ein deutscher Sondersiedler hatte keinen Anspruch darauf. Er arbeitete fast 18 Jahre in einer Kolchose, bis er nach Kirgisien zog. Er war sehr fleißig und handwerklich geschickt und konnte absolut alles reparieren.
Die Familie musste die Aufrechterhaltung ihrer deutschen Identität während ihres gesamten Lebens – unter der ständigen und strengen Beobachtung von der Kommandantur – verbergen. Den Menschen war es verboten, die deutsche Kultur und die deutschen Traditionen offen zu pflegen. Auch konnten sie die deutsche Sprache weder sprechen noch lernen oder ihrer Religion nachgehen.
Die Befreiung von der Kommandantur im Januar 1956 ermöglichte es den Menschen dennoch nicht, ihr bei der Deportation beschlagnahmtes Eigentum zurückzubekommen. Sie konnten nicht an den Ort zurückkehren, von dem sie deportiert worden waren, die Rechte der Deutschen als nationale Minderheit wurden ignoriert (ihre Forderungen in Bezug auf Sprache, Kultur und Traditionen blieben unerfüllt).
Im Jahr 1963 durfte mein Großvater Nikolai mit seiner Familie nach Frunse, heute Bischkek, Kirgisien umziehen. Großvater arbeitete bis zu seinem Tod in einem staatlichen „Werk für Landtechnik“. Leider ist er sehr früh gestorben, er wurde lediglich 56 Jahre alt.
Der Traum von guter Bildung wurde von seinen Kindern und Enkelkindern erfüllt!
Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob ich mich wirklich an meinen Großvater Nikolai gut erinnere oder ob meine Eltern mir so sorgfältig und lebendig von ihm und der Familie erzählt haben, dass ich selbst lebendige Erinnerungen entwickelt habe. Aber ich weiß, dass er ein sehr liebevoller und hilfsbereiter Mensch war und mich besonders ehrfürchtig liebte! Ich spüre es bis heute.
Meine Erzählung drückt nur einen kleinen Teil von der großen Dankbarkeit aus, die ich für meine Vorfahren dafür empfinde, dass ich heute lebe. Ebenfalls danke ich meinen Eltern für das sorgfältige Aufbewahren und für die Weitergabe der Familiengeschichte, die mein Interesse in mir geweckt hat.
Besonders gilt mein Dank meiner Mutter dafür, dass sie nach dem Anruf des KGB bei ihren Eltern im Jahr 1980 und dessen Warnung davor, einen Deutschen zu heiraten, keine Angst hatte und meinen Vater zum Mann nahm. Sonst hätte es mich nicht gegeben. Und als ich erwachsen wurde und bewusst die Geschichte der Familie im Detail recherchieren wollte, half sie mir und hilft mir bis heute bei der Recherche.
Ich bin stolz darauf, dass ich eine Mirau und ein Teil des deutschen Volkes bin.
Mein 14-jähriger Sohn kennt die Geschichte der Familie Mirau und ich hoffe sehr, dass er diese Geschichte seinen Kindern weitergibt.
Solange die Erinnerung lebt, sind ALLE unsere Lieben lebendig!
Anna Mirau mit ihrem Sohn
und den Fotos von Nikolai und Peter Mirau
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